Wie wir mit Yoga nicht nur unseren Körper, sondern auch unser Gehirn, trainieren können.

Der Tänzer

„Man kann den Wert von Yoga nicht beschreiben, man muss ihn erfahren.“

B.K.S. Iyengar

Yoga wird als eine der ältesten Erfahrungswissenschaften gesehen, welche sich mit dem Menschen in seiner Ganzheit beschäftigt. Yoga kann Transformationsprozesse in Gang setzen, um die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen.

Erfahrungswissenschaft bedeutet, dass die Erkenntnisse auf Beobachtung und Erfahrung basieren. Vieles davon wurde vor Jahren noch als Esoterik abgetan, doch mittlerweile belegen erste Studien der Vernunftwissenschaften die positiven Effekte von Yoga. In diesem Beitrag möchte ich euch diese Erkenntnisse von Neurowissenschaftlern und Psychologen in Bezug auf das Gehirn näher bringen.

„Egal ob traditionelles Hatha, Vinyasa mit Techno-Beats oder schwitzendes Vikram – sie alle verändern unser Gehirn“

Ulrich Ott, Psychologe

Beim Yoga geht es nicht um Leistung, sondern um die Entwicklung von Bewusstsein für den eigenen Körper, die Gefühle und den Geist. Die Körperstellungen (Asanas) entfalten ihre volle Wirkung dadurch, dass sie mit voller Aufmerksamkeit und bewusster Atmung ausgeführt werden.

Wenn Studienteilnehmer berichten, dass sie sich nach dem Unterricht besser fühlen, stellt sich oft die Frage nach dem „WARUM?“

  • Lag es an den körperlichen Übungen?
  • Lag es an der Konzentration auf den Atem?
  • Ist es vielleicht das Gefühl Teil einer größeren Gruppe zu sein?
  • Lag es am besonderen Stil des Lehrers/ der Lehrerin?

Wissenschaftliche Forschung in Bezug auf Yoga ist schwierig, da beim Yoga viele Faktoren gleichzeitig wirken. Im Endeffekt ist es aber eben genau diese Kombination aus verschiedenen Asanas, Atemübungen und Meditationen, die über längere Zeiträume wiederholt praktiziert werden und so unser Denkorgan funktionell und strukturell verändern. Es ist vergleichbar mit einem Muskel, der durch regelmäßiges Training an Kraft gewinnt.

Prinzipiell verändert jede Tätigkeit oder jedes Hobby, das ein Mensch über einen längeren Zeitraum verfolgt, das Gehirn. Es ist also eher spannend zu betrachten welche Gehirnregionen beim Yoga aktiv sind.

Welche Gehirnregionen sind beim Yoga aktiv?

Durch die erhöhte Aufmerksamkeit und Selbstwahrnehmung während der Yogapraxis werden unter anderem folgende Bereiche stimuliert:

Quelle: https://www.spektrum.de/news/bewusstsein-wie-yoga-das-gehirn-veraendert/1782359

In einer weiteren Studie zeigte sich zudem eine Vergrößerung des Hippocampus.

Schauen wir uns nun an, für welche Funktionen diese Bereiche im Hirn zuständig sind und wie Yoga hier wirken kann.

Präfrontaler Kortex

Durch die erhöhte Selbstwahrnehmung im Yoga wird dieser Bereich aktiviert. Zu den exekutiven Funktionen des präfrontalen Kortex gehören Funktionen wie das Planen, das Abwägen verschiedener Optionen und die Entscheidungsfindung.

Der präfrontale Kortex ist zudem gemeinsam mit dem Striatum und der Inselrinde für die Regulierung unserer Gefühle zuständig. Unser Wohlbefinden wird also gesteigert, wenn wir diese Areale trainieren.

Striatum

Durch die erhöhte Selbstwahrnehmung und Aufmerksamkeit im Yoga wird dieser Bereich aktiviert. Das Striatum – auf Deutsch „Streifenkörper“ – gehört zu den hochkomplexen motorischen Regelkreisen des Großhirns. Dieser Teil des Gehirns ist mit den motorischen Nervenbahnen vernetzt.

Das Striatum bildet den Eingang in die sogenannten Basalganglien, wo Motivation, Kognition, Emotion und Bewegungsverhalten neuronal organisiert werden. Im Striatum beginnt die multidimensionale Verschaltung einer gezielten Bewegung. Konkret hat das Striatum die Hauptaufgabe Bewegungsabläufe zu hemmen.

Wenn dieser Bereich degeneriert, kann es zu Bewegungsstörungen und sogar Krankheiten wie u.a. Parkinson oder Chorea Huntington kommen. Das Training dieser Region ist also essentiell für die Gesundheit und Beweglichkeit unseres Körpers.

Sonnenkrieger
Krieger II

Inselrinde

Durch die erhöhte Selbstwahrnehmung im Yoga wird dieser Bereich aktiviert. Die Inselrinde als zentraler Teil des neuronalen Netzwerks ist für die Erstverarbeitung von Signalen aus der Körperwahrnehmung zuständig und vermittelt dem Menschen ein Bewusstsein für den eigenen Körper.

In ihr laufen alle Signale über den aktuellen Zustand des Körpers zusammen (z.B. Temperatur, Schmerz, Berührung, Hunger, Herzschlag, Haltung). Diese Signale werden mit Informationen aus der Umwelt zusammengebracht, sodass auch ein Gefühl für den Körper in Raum und Zeit entsteht.

Zwei Mechanismen können unser Zeitgefühl beeinflussen: Aufmerksamkeit und Erregungszustand des Körpers. Beide verändern die Zahl der registrierten Impulse und können somit die Uhr langsamer oder schneller laufen lassen. Je weniger wir abgelenkt sind, desto eher achten wir auf unseren Körper. Sobald mehr Signale auf uns einwirken, desto weniger nehmen wir die Signale unseres Körpers wahr.

Yoga oder Achtsamkeitsübungen, wo wir über die Atmung ganz im Hier und in unserer Körperpräsenz ankommen und uns somit auf das Jetzt konzentrieren, verlangsamen  das Erleben des subjektiven Zeitverlaufs.

Zusätzlich wird die Inselrinde mit Angsterkrankungen (u.a. übermäßige Sorgen oder Furcht) in Verbindung gebracht. Verschiedene Gehirnareale führen Gefühle mit Informationen aus der Umgebung zusammen und beeinflussen so unser Verhalten. Die Inselrinde scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen, da sie Emotionen, Empathie und Sozialverhalten reguliert.

Cingulärer Cortex

Durch die erhöhte Aufmerksamkeit im Yoga wird dieser Bereich aktiviert. Der cinguläre Cortex (Gyrus cinguli) ist integraler Bestandteil des limbischen Systems und ist für kognitive und emotionale Funktionen zuständig. In Verbindung mit der Inselrinde steuert der cinguläre Cortex Emotionen als Reaktion auf externe und interne Reize und hilft dabei Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Zudem besteht eine Verbindung zu den visuellen und motorischen Verarbeitungszentren des Gehirns, die wiederum für die kognitiven Aufgaben, wie komplexe Lern- und Gedächtnisprozesse, zuständig sind. Neben dem visuell-räumlichen Gedächtnis geht es hier auch um das autobiografische Gedächtnis und die Vorstellungskraft.

Neurologische Störungen in diesem Bereich können daher zu Gedächtnisverlust führen. Zwei wichtige Beispiele für Erkrankungen, an denen die Hirnstruktur beteiligt ist, sind Alzheimer und Depressionen. Zudem stehen Schizophrenie, biopolare Störung, Angststörung und Sucht im Zusammenhang mit dieser Hirnregion.

Krieger III
Tiefer Ausfallschritt

Amygdala und Hippocampus

Die Amygdala oder der Mandelkern befindet sich tief im Gehirn und ist auch Teil des limbischen Systems, das zusammen mit dem Hippocampus emotionale Äußerungen regelt. Der Mandelkern wirkt vor allem als emotionaler Verstärker. Welche Reaktion durch Stimulation hervorgerufen wird, ist abhängig von der Stimmung der Person zum jeweiligen Zeitpunkt. Neben der Entstehung von Emotionen spielen beide auch eine wichtige Rolle bei der Bildung des Gedächtnisses. Die Hirnstruktur des Hippocampus ist auch die erste, die bei Demenzerkrankungen betroffen ist.

Vor allem die Entstehung von Angstgefühlen ist im Mandelkern verankert, besonders die Reaktion auf Bedrohung, Angst oder Wut. Wenn wir zum Beispiel plötzlich eine Spinne sehen und uns erschrecken, zucken wir regelrecht zusammen. Verantwortlich ist hier eine Nervenverbindung zwischen Mandelkern und motorischem System.

Positive Auswirkung auf die Neuroplastizität – Graue Hirnmasse baut langsamer ab.

Neben der Größe bestimmter Areale ist es auch spannend sich die Effekte auf die Neuroplastizität anzuschauen. Zunächst eine Begriffserklärung: Neuroplastizität bedeutet, dass das Gehirn formbar/ plastisch ist. Basierend auf Lernprozessen und Erfahrungen verändern sich Verschaltungen unserer Nervenzellen im Hirn. Ohne Stimulation verkümmern diese neuronalen Verbindungen. Eng vernetzte neuronale Verbindungen können auch übergeordnete anatomische Strukturen wandeln. Das Nervengewebe passt sich an.

Die graue Gehirnmasse setzt sich vor allem aus Nervenzellkörpern zusammen. Sie ist ein wesentlicher Teil des Zentralnervensystems und nimmt im Lauf des Lebens beim Menschen ab. Weniger graue Masse beeinträchtigt das Gedächtnis und könnte unter anderem das Risiko für Demenz erhöhen.

Yoga hat hier einen sehr starken Effekt auf das Volumen dieser grauen Gehirnmasse und scheint diesen altersbedingten Abbau zu verlangsamen, wenn nicht sogar für die Bildung neuer Nervenzellkörper zu sorgen.

Meditation

Also nochmal zusammengefasst:

In diversen Studien schnitten Yogapraktizierende bei Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstrainings sowie motorischen Übungen besser ab. Das kann zum einen auf die Vergrößerung der Hirnareale zurückgeführt werden, die für kognitive Kontrolle, Koordination von Bewegungen und die Bewertung von Entscheidungen zuständig sind.

Zudem kann Yoga zu einem starken Anstieg des Botenstoff Dopamin in einem Teil des Vorderhirns führen. Dopamin stimuliert wichtige kognitive Prozesse, somit erhöhen sich Aufmerksamkeit, Konzentration und andere geistige Fähigkeiten. Hinzu kommt, dass Yogapraktizierende direkt nach der Praxis eine höhere Frequenz von relativ langsamen Alphawellen aufweisen. Diese Gehirnwellen versetzen das Hirn in einen Ruhezustand, in dem es mehr aufnehmen und sich besser konzentrieren kann.

Stress, Angst und Depression

Bereits bei Messungen des Speichelkortisols nach einer 90-minütigen Yogaklasse konnte eine signifikante Reduktion der Kortisolkonzentration gemessen werden. In einem Zeitraum von acht Wochen konnte in Studien bereits eine abgeschwächte Cortison-Reaktion auf Stress festgestellt werden. Über einen längeren Zeitraum wurde eine signifikante Reduktion des Stressempfindens nachgewiesen.

Erste Studien zeigen auch, dass Yoga zudem die Emotionskontrolle (Wahrnehmung und Regulierung) verbessern sowie Angst und Depressionen reduzieren kann. Allerdings sollte Yoga nur komplementär genutzt werden. Die Wissenschaftler sehen zwar ein hohes gesundheitliches Potential, aber ohne Heilungspotential. Es wird also zusätzlich genutzt ohne die Therapie zu ersetzen. Es handle sich um erste Ergebnisse und Hinweise, weitere Studien seien auf jeden Fall notwendig.

Differenzierung notwendig

Die bisherigen Erkenntnisse sprechen auf jeden Fall eine eindeutige Sprache, dass Yoga gut für uns ist. Allerdings wirkt sich ein gesunder Lebensstil, z.B. gesunde Ernährung und Bewegung, immer positiv auf Struktur und Funktion des Gehirns aus.

Um ein differenzierteres Bild in Bezug auf Yoga zu erhalten, müsste man also Yogapraktizierende mit Kontrollgruppen anderer Sportarten vergleichen. Ebenso wäre ein Vergleich unterschiedlicher Yogastile sowie eine größere Anzahl an Probanden notwendig.

Aktive Haltung des Kindes

Wie nachhaltig sind die Veränderungen?

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Yoga unser Gehirn verändert. Zu Dosis und Dauer ist die Forschungslage nicht eindeutig, auch wenn Vieles darauf hindeutet, dass bereits kurzzeitiges Üben Wirkung zeige.

Aufgrund der Neuroplastizität unseres Gehirns können wir uns aber recht sicher sein, dass regelmäßiges Praktizieren zu nachhaltigen Veränderungen führt. Denn so funktioniert unser Gehirn. Zum Thema Neuroplastizität kann ich übrigens das Buch „Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst“ von Niels Birbaumer empfehlen.

Alles was wir tun, verändert unser Gehirn. Je nachdem was wir denken oder tun und wie oft wir es denken oder tun, ist die Veränderung stärker oder weniger stark. Die Frage ist also, welche Veränderung du dir für dich wünschst?

Linda Salomo

Quellen bzw. weiterführende Links

https://www.spektrum.de/news/bewusstsein-wie-yoga-das-gehirn-veraendert/1782359
https://content.iospress.com/articles/brain-plasticity/bpl190084
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31126545/
Stangl, W. (2021). Stichwort: ‚Inselrinde – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; https://lexikon.stangl.eu/14088/inselrinde (2021-05-06)
https://www.deutschlandfunkkultur.de/yoga-die-turbulenzen-zur-ruhe-bringen.976.de.html?dram:article_id=305247
https://science.orf.at/v2/stories/2858715/
https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/das-striatum
https://medlexi.de/Striatum
https://psylex.de/psychologie-lexikon/gehirn/anatomie/gyrus-cinguli.html
https://medlexi.de/Gyrus_cinguli
https://gedankenwelt.de/der-gyrus-cinguli-struktur-und-funktion/
https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/die-amygdala
Rinske A. Gotink et. al. (2018): Meditation and yoga practice are associated with smaller right amygdala volume: the Rotterdam study, abgerufen am 06.09.2019 https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11682-018-9826-z
https://kurier.at/wissen/gesundheit/yoga-welche-positiven-auswirkungen-es-auf-das-gehirn-gibt/400703271

https://science.orf.at/v2/stories/2858715/
https://www.carstens-stiftung.de/artikel/yoga.html

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